Als der Zug so gegen 06.30 Uhr in Hildesheim angehalten hat, wachen wir auf, um dann noch einmal ein wenig zu Dösen: Es buttelet so schön. Haben eine gute Nacht verbracht, nicht unbedingt im Tiefschlaf aber doch erholsam und entspannend. Etappenweise ziehen wir uns in der engen Kabine an (dasjenige, das nicht mit sich Anziehen beschäftigt ist, zieht sich auf sein Bett zurück, um nicht im Weg zu stehen). Kurz nach sieben Uhr wird uns das Frühstück in die Kabine gestellt. Tee, Brötchen, Butter und Konfitüre. Die Leberwurst im Döschen geht unangetastet zurück an den Sender. Sicher gehört Leberwurst nicht unbedingt zu unseren Leibspeisen und wenn man dann noch auf dem Deckel die Zutaten liest, dann wird’s einem auf der eigenen Leber ein wenig flau. Nachdem wir mit dem etappierten Zähne putzen fertig sind, treffen wir auch schon in Hamburg-Altona ein. Wir steigen aus und warten auf die Durchsage, auf welchem Gleis wir unser Auto abholen können (die Autozugwagen werden vom Hauptzug los gekuppelt und im Abladegleis im Personenbahnhof bereitgestellt). Martin steigt über eine Treppe, die vor den Autozügen aufgestellt wird, auf das zweite Wagen-Deck, steigt ins Auto und fährt mit diesem die Rampe runter und direkt durch den Bahnhof hindurch. Das kann man fast nicht schildern, das muss man erlebt haben. Alle Autos fahren über die spärlich abgetrennten Bahnsteigzubringer-Wege. Immer wieder huschen Reisende mit ihrem Gepäck zwischen den Autos durch. Das Ganze ist etwa so, wie wenn der Autozug in Zürich angekommen wäre und die Autos über den Prellbock am Perronende abgeladen werden und man durch den Bahnhof führe. Es geht zu und her wie auf einem türkischen Bazar. In der Zeit, in der Martin auf den Ablad des Autos gewartet hat, begebe ich mich zum Bahnhof-Kiosk und besorge uns noch eine Norddeutschland Strassenkarte und dann kann’s los gehen.

Dank unseres Navis kommen wir rasch aus der Stadt und Agglomeration der Hansestadt Hamburg (Autokennzeichen: HH) heraus und nehmen Kurs in Richtung Rendsburg. Unser Weg führt uns durch Ortschaften wie Quickborn, Barmstedt und Westerrönfeld. Gegen Mittag treffen wir in Rendsburg ein. Die mächtige Eisenkonstruktion der Eisenbahnbrücke, die über den NOK (Nordesee-Ostsee-Kanal) führt, erkennt man schon von weitem. Wir parken unser Auto und begeben uns zur Brücke. Festzuhalten ist noch, dass die Eisenbahnbrücke zugleich auch Schwebefähre ist. Denn an der Brückenunterseite ist die Haltevorrichtung der Schwebefähre, d.h. einer Fähre, die ein paar Meter oberhalb des Wasserstandes den NOK überquert. Da können Autos, Fahrräder und Fussgänger mit drauf.

Schon bald tauchen im NOK die ersten grossen Schiffe auf. Alles Güterschiffe (Container oder Tanker). Wie in Hamburg gibt es auch hier in Rendsburg eine Schiffsbegrüssungsanlage. Jedes Schiff, das hier durch fährt, wird begrüsst und man erfährt dabei nebst Namen auch Reederei, Heimathafen, Länge, Breite und aktuellem Tiefgang des Schiffs. Nach all diesen Infos wird dann noch die Nationalhymne des Heimatlandes des Schiffes eingespielt. Das sind echt grosse „Tütschis“, die da an uns vorbei ziehen. Teilweise haben die Schiffe Aufbauten, die so hoch sind wie ein drei- oder vierstöckiges Haus. Wir schauen dem munteren Treiben zu Wasser zu und entscheiden uns, die Fortsetzung aus dem nahe gelegenen Restaurant „Brückenterrassen“ zu verfolgen. Rasch ist die Speisekarte durchgesehen und wir bestellen uns je einen Grillsalat (verschiedene Salate mit gegrillten Putenbruststreifen). Lecker … Aber wir haben die Rechnung ohne den EHEC-Virus gemacht. Die Kellnerin nimmt unsere Bestellung entgegen, sagt uns aber umgehend, dass sie den Chef fragen müsse, ob es den Grillsalat heute gäbe, gestern hätten sie ihn nämlich noch nicht servieren können. Sie kann ihn auch am Montag nicht servieren. Dann nehmen wir halt Fisch und Salzkartoffeln. Nach dem Essen verweilen wir noch etwas am NOK bevor uns dann ein kräftiger Regenguss zum Auto zurück treibt. Dann machen wir uns halt auf den Weg nach trockeneren Gefilden. Wir fahren weiter östlich in Richtung Kiel, wo aktuell gerade die Kieler Wochen (ein Grossereignis für alle Schiffs- und vor allem Segelfreunde) statt finden.

Wir ziehen weiter durch bis an die Ostseeküste an den Wentdorfer Strand. Dort parken wir unser Auto, nachdem wir der russischen Babuschka zwei Euro Parkgeld bezahlt haben, die sie – da wir sie bei der Anfahrt in ihrem Häuschen übersehen haben – energisch einfordert. Und bereits kommen unsere guten wind- und wetterfesten Jacken erstmals zum Einsatz. In der Nähe unseres Autos grasen ein paar Hasen, die aber sehr schreckhaft sind. Am Strand luftet es wie irre, sehr zur Freude der Kite-Surfer, die sich hier in grossen Mengen tummeln. Es macht Spass, ihnen zuzusehen. Wir spazieren ein wenig dem Strand entlang, stossen auf zahlreiche Miesmuschel-Kolonien in allen Grössen und sammeln leere Wasserschnecken-Häuschen.

Später kehren wir zum Auto zurück und fahren dann direkt weiter Richtung Hansestadt Lübeck (Autokennzeichen: HL). Dort haben wir im Hotel Radisson Senator bereits im Vorfeld ein Zimmer reserviert. Das brombeerfarbene Zimmer bietet einen schönen Ausblick auf die Trave, die etwas weiter nördlich in Travemünde in die Lübecker Bucht mündet und die alten, hohen Backsteinhäuser. Wir richten uns kurz ein und machen uns dann auf den Weg Richtung Innenstadt. Vom Hotel aus geht’s direkt zum Holsten-Tor, eine der grossen Sehenswürdigkeiten von Lübeck. Nach einer gefühlten Wartezeit von 15 Minuten können wir die Strasse vor dem Holsten-Tor überqueren. Beim nächsten Fussgängerstreifen die gleiche Prozedur. Lübeck ist definitiv keine fussgängerfreundliche Stadt. Auch sonst fehlt es der Stadt ein wenig an Charme. Vor ein paar Wochen habe ich im Fernsehen gesehen, dass Lübeck finanziell völlig am Ende ist, da sie keine Wirtschaftsentwicklungsmassnahmen in der Stadt selbst angegangen sind, was dazu geführt hat, dass sich viele Firmen aus Lübeck zurückgezogen bzw. sich da gar nicht niedergelassen haben. Irgendwie stand aber am 20. Juni 2011 Geld zur Verfügung, denn es wurde überall gebaut. Sogar auf dem Vorplatz zum wunderschönen Rathaus war alles aufgerissen. Wir schlendern gemütlich durch die Innenstadt, die teilweise auch eine reine Fussgängerzone ist. Den einzigen Laden, den wir besuchen, ist das Verkaufsgeschäft der Familie Niederegger. Eine Marzipan-Legende. Wow, was da alles angeboten wird. Marzipan-Tiere, -Früchte, -Gemüse und -Figuren in allen Farben und Formen, Marzipan-Pralinés etc. Zum Glück haben wir richtig Hunger. Die Süssigkeiten ziehen uns daher nur mässig an, einzig ein kleines Dessert kaufe ich mir ein. Im Restaurant Jensens Böfhus, einem dänischen Steakhouse geniessen wir unser erstes Feriennachtessen. Gemischter Salat, Rindfleisch mit Gemüse und Ofenkartoffel gibt’s bei uns.

Interessantes Detail: Bei Jensens erkundigt man sich betr. EHEC bei der dänischen Gesundheitsbehörde über den aktuellen Stand. Und wie halten’s die Dänen mit dem EHEC? Ein bisschen freier als die Deutschen. Es gibt Gurke in der Tsatziki-Sauce aber auf dem Salatbuffet fehlen die langen Grünen. Nach dem überaus feinen Essen setzen wir unseren Spaziergang fort. Martin zieht es dann noch zum Bahnhof Lübeck, wo er noch einige Fotos schiesst. Ich, kehre ins Hotel zurück. Meine Erkältung, die mich seit dem Wochenende plagt, macht mir zu schaffen. Darum gibt es noch eine warme Dusche und dann ab ins Bett. Eigentlich möchten wir den Tag mit Tagebuch schreiben und Reisepläne schmieden fortsetzen. Doch wir sind einfach zu müde dafür. Und obwohl es für die Tageszeit noch sehr hell ist, schlafen wir rasch ein und verleben eine erholsame Nacht in Lübeck.

Video der Schwebefähre:

Video der Schiffsbegrüssungsanlage in Rendsburg:

Statistisches: 251 km