Donnerstag, 14. August 2014: Never forget.*

(*Gravur auf Stein auf der neuen Brücke von Mostar)

Am 9. November 1993 war das strategische Ziel erreicht: Nach mehrstündigem Beschuss war die alte Brücke von Mostar komplett zerstört und ist in den Fluss Neretva gestürzt. In den ganzen Wirren des Balkankriegs, der kriegerischen Brutalität und dem grenzenlosen Leid der Bevölkerung unterschiedlicher Glaubensgemeinschaften und Abstammungen muss der Einsturz der alten Brücke in Mostar eigentlich als kleines Ereignis-Mosaiksteinchen betrachtet werden. Das haben wir wohl damals im 1993 auch getan. Ich erinnere mich gut daran, wie ich die Tagesschau-Bericht über kriegerische Handlungen im Balkan, ethnische Säuberungen, Flüchtlingsgruppen, die in der Schweiz Asyl suchten etc. nicht mehr sehen und hören wollte und mich davon abgegrenzt habe. Heute holt uns diese Geschichte unvermittelt ein. Wir unternehmen einen organisierten Tagesausflug nach Mostar.

Nicht nur wegen ihrer architektonischen Einmaligkeit, sondern auch aufgrund der grossen Symbolkraft der Brücke wurde das Bauwerk und seine historische Umgebung am 15. Juli 2005 in die Liste des Weltkulturerbes der UNESCO aufgenommen. Die UNESCO würdigte die Brücke als Symbol der Versöhnung, der internationalen Zusammenarbeit und des Zusammenlebens von verschiedenen religiösen, kulturellen und ethnischen Gemeinden“. Mostar liegt in Bosnien-Herzegowina und es war uns klar, dass diese Reise nicht einfach ein normaler Ausflug in eine andere Stadt ist, sondern ein Ausflug in die jüngere europäische Geschichte darstellt.

Um 08.10 Uhr fährt der Reisebus vor unserem Hotel vor. Nach einem leichten Frühstück auf der Dachterrasse im 7. Stock sind wir ready for takeoff. Wir fahren los Richtung Bucht von Mali Ston. In Neum überqueren wir zum ersten Mal die Grenze nach Bosnien-Herzegowina, das in dieser Gegend mit rund 20 km an die Adria angrenzt. Nachdem wir die 20 km zurückgelegt haben reisen wir bei Klek wieder nach Kroatien ein.

Mit dem Bau der Peljev¡ac-Brücke, einer geplanten Schrägseilbrücke hätte die aufwändige Landquerung mit Grenzkontrolle eliminiert und die Region Dubrovnik besser an den Rest von Kroatien angebunden werden sollen. Doch der Brücken-Bau in Südkroatien, geriet im 2012 (Baubeginn 2007) ins Stocken. Unsere Reiseleitung gibt uns als Grund für den Baustopp an, dass der damalige Premierminister Kroatiens mit dem Geld untergetaucht sei. Ihn habe man festgenommen und verurteilt er habe aber bis heute nicht gesagt, wo das Geld sei.

Aus dem Internet erfahren wir: „Im Zuge der Anschuldigungen gegen den kroatischen Premierminister Ivo Sanader der angeblich 20 Tonnen Gold unterschlagen hat, sind nach Aussage eines Mitarbeiters der Schweizer Clariden Leu Bank die vorgelegten Beweise gefälscht. Es geht hier um Bankdokumente mit Kontonummern die als Beweis vorgelegt wurden. Nach Auskunft der Bank wurden diese Nummernkreise und auch die Formularsätze nicht von dem Vorgängerinstitut verwendet und sind demnach auch nicht echt.“

Tatsache ist, dass heute auf der Seite der Halbinsel Peljev¡ac nur gerade ein Brückenpfeiler steht. Sonst gar nichts. Und who knows where the EU-money is…

Nach einem kurzen „technical stop“ (trinken, pipi, Beine strecken) in Bosnien-Herzegowina fahren wir weiter und verlassen bald einmal die Küste und nehmen Kurs ins Landesinnere. Das Neretva-Tal ist so etwas wie das Grosse Moos im Seeland. Nur einfach viel grösser. Die Reiseleiterin versorgt uns mit vielen interessanten Informationen. Mit einer kurzen Zusammenfassung der geschichtlichen Hauptereignisse des Balkankriegs öffnet sie für uns dieses Geschichtskapitel neu. Bald queren wir zum zweiten Mal die Grenze nach Bosnien-Herzegowina. Diesmal nehmen die Einreiseformalitäten rund 30 Minuten in Anspruch und dies erst noch nachdem unser Car-Chauffeur ein fulminantes Überholmanöver der wartenden PWs eingelegt hat. Kurz nach 12.00 Uhr treffen wir in Mostar ein. Wir verlassen die Hauptstrasse und durchfahren ein Wohnquartier.

Ein erster Eindruck: Anstelle von Spielplätzen oder Gärten grenzen endlos scheinende Grabhaine von Kriegsopfern an die Siedlungen!

Wir besichtigen eine Moschee und machen einen kurzen Rundgang durch die Stadt. Zahlreiche Gebäude weisen immer noch Zerstörungen aus dem Krieg auf – fungieren somit als stille Zeugen dieser Zeit. Es fällt auf, dass zahlreiche katholische Kirchen und auch die Synagoge, die im Krieg komplett zerstört worden sind, noch heute nicht aufgebaut bzw. fertig gestellt worden sind. Es mangelt am Geld. Der Rundgang in der Stadt gestaltet sich anspruchsvoll. Es ist rund 36 Grad warm, die Stadt ist Touristen-mässig völlig überlaufen und das Gehen auf den mit runden Steinen gepflasterten Gassen ist nicht ganz einfach. Die vom darüber Gehen glatt polierten Steine sind sehr rutschig. Und dann stehen wir selbst auf der alten Brücke von Mostar und sind überwältigt – sozusagen Geschichte zum Anfühlen:

„(NZZ/C. Sr.): Am 9. November 1993 haben Truppen der bosnischen Kroaten das Wahrzeichen der Stadt Mostar, die alte Brücke über den Fluss Neretva (stari most), gezielt zerstört. Sie war mehrere Stunden lang von der Artillerie beschossen worden. In der Hauptstadt der Herzegowina waren im Mai des gleichen Jahres heftige Kämpfe zwischen Bosnjaken (Muslimen) und Kroaten ausgebrochen, nachdem sich beide noch zu Beginn des Bosnienkriegs 1992 gemeinsam gegen serbische Verbände gewehrt hatten. Damit begann ein «Krieg im Krieg», der eine Friedenslösung in Bosnien weiter erschwerte. Die Kroaten kontrollierten den westlichen Teil der Stadt, die Bosnjaken den östlichen – und auch jene Häuser und Gassen der Altstadt, die sich westlich der Neretva befinden, also inmitten der von den Kroaten gehaltenen Gebiete. Mit der Zerstörung der Brücke sollten die bosnjakischen Kämpfer im Westteil der Stadt vom Nachschub abgeschnitten werden.

Die von den Türken im 16. Jahrhundert erbaute Brücke galt mit einer Weite von gut 28 Metern und einer maximalen Höhe von 19 Metern als ein Meisterwerk der damaligen Baukunst. Sie war lange ein Symbol für das friedliche Zusammenleben von Kroaten, Bosnjaken und Serben in der multiethnischen Stadt Mostar. Nach dem Bosnienkrieg wurde sie aufwendig rekonstruiert und mit der Unterstützung der Unesco, der Weltbank und der Türkei wiederaufgebaut. Dabei wurden, soweit dies möglich war, die alten Steine, die in der Neretva lagen, verwendet. Offiziell wurde die Brücke im Juli 2004 wiedereröffnet. Doch das Ziel, die gespaltene Stadt zu einen, konnte nicht erreicht werden. Mostar ist auch heute noch ethnisch geteilt. Die unsichtbare Grenze bildet die Frontlinie, wie sie sich im Krieg herausgebildet hatte.“

Die Herzegowina ist heute politisch dreigeteilt: Der Osten um Trebinje ist Teil der Republika Srpska. Westen, Mitte und Norden gehören zur Föderation Bosnien-Herzegowina, wobei der Westen den kroatisch geprägten Kanton West-Herzegowina und Norden und Mitte um Mostar den binationalen (bosniakisch-kroatischen) Kanton Herzegowina-Neretva bilden. Wie wird die Geschichte dieses Landes wohl weiter geschrieben?

Auf der gleichen Route wie am Morgen kehren wir im späteren Nachmittag zurück. Die Grenz-Übertritte verlaufen ohne Probleme. Mit drei in Mostar gekauften Lavendel-Säckchen und vielen Eindrücken, die teilweise noch verarbeitet werden müssen, treffen wir im Hotel ein. Wir essen eine Kleinigkeit und geniessen die Meersicht.

 

 

 

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