Lulea ist an einem Auffahrtsmorgen nicht gerade die aufstrebende Metropole, wie wir bei einem morgendlichen Stadtrundgang feststellen konnten. Oder lag es am garstigen Wetter? Tatsächlich peitsche der Wind durch die Gassen und drückte einem den Nieselregen ins Gesicht. Wirklich nicht toll, um länger draussen zu bleiben. Zum Glück hatten wir um viertel vor elf unseren Zug, in welchem wir die nächsten sieben einhalb Stunden in der Wärme sitzen konnten.

Pünktlich verliess der Zug mit gerade mal drei Wagen den Bahnhof Lulea in Richtung Narvik. „Arctic Circle Express“ heisst dieser Zug, welcher spätestens ab Boden recht gut besetzt ist. Die Fahrt führt also von der Ostsee über das Gebirge an den Atlantik. Und dabei wird der Polarkreis überquert. Einer der drei Wagen hat einen Kiosk, welcher in der rauhen Umgebung hilft, zu überleben. Und zwar recht preiswert. Ein Kaffee kostet umgerechnet CHF 2.40 – und zu diesem Preis gibt es sogar free refill.

wpid-Photo-20150514224407701.jpgDie Überquerung des Polarkreises war für mich eine Premiere. Entsprechend war ich gespannt, wie sich das Ganze präsentiert. Dank unseren Unterlagen (GPS, Streckenkarte mit Kilometrierung) wussten wir ziemlich genau, wo sich der Polarkreis befinden musste. Trotzdem fragte ich die Zugbegleiterin, ob die Überfahrt des Kreises speziell angekündigt werde. Nein, eigentlich nicht, das sei nichts Spezielles. Aber für uns könne sie dies gerne ausrufen. Das ist doch mal ein Dienst am Kunden – schliesslich heisst der Zug ja „Arctic Circle Express“…

Plötzlich begann es zu schneien. Ja, schneien. Und irgendwann sahen wir draussen ein Schild „Polcirkeln“, welches scheinbar den Polarkreis bezeichnete. Das Schild hatte die Grösse eines Schildes, welches an Schulhäusern mit dem Text „Fussball spielen verboten“ hängt. Und die Durchsage der Zugbegleiterin unterblieb. Somit war das überschreiten des Polarkreises unspektakulärer als wenn in Peking ein Sack Reis umfällt.

wpid-Photo-20150514224714133.jpgDie Gegend, durch die der Zug fuhr, war sehr speziell. Irgendwie ein bisschen trostlos wie die Mondlandschaft, andererseits auch faszinierend aufgrund ihrer Kargheit. Wie hier wohl Tiere überleben können? Und was machen Menschen, die hier wohnen? Zeitweise sind wir voll in den Winter zurückgekehrt: Hohe Schneewände, durch welche der Zug fuhr, Touristen mit Ski (nordisch und alpin) und Leute, die mit Schneetöffs über die noch gefrorenen Seen fuhren. Sehr speziell wurde die Gegend auch rund um Kiruna. Dieser Ort ist ein Bergbauort, hier wird Eisenerz abgebaut. Die künstlichen Berge mit dem Aushubmaterial sieht man überall, das Erz wird mit der Bahn nach Narvik abtransportiert. Der Erztransport war auch der Grund für den Bau dieser Bahn. Und die Erzzüge sind eindrücklich: Gigantische Loks mit 12 Achsen ziehen nicht enden wollende Züge. Und die Bedeutung des Erzabbaus ist so gross, dass in Kiruna auch Teile des Dorfes umgesiedelt werden mussten, um weitere Erzreserven zu erreichen. Von der Umsiedlung betroffen war auch der Bahnhof, welcher rund 1.5 km vom ursprünglichen Standort weg neu gebaut wurde. Wobei Bahnhof ein bisschen hoch gegriffen ist: ein Perron von 200 m länge und ein gedeckter Unterstand – das reicht für die täglichen 6 Reisezüge…

wpid-Photo-20150514224714135.jpgNach rund 6 1/2 Stunden Fahrt erreichten wir beim Ort Riksgränsen die schwedisch-norwegische Grenze. Von hier an ging die Strecke nun stetig bergab bis Narvik, wo wir pünktlich ankamen. Dieser Teil der Strecke hat mir fast am Besten gefallen – die Fahrt entlang eines Fjords war wirklich toll!

Wir sind hier im Hotel Scandic Narvik in einem Zimmer im 12. Stock untergebracht. Leider nicht mit Sicht aufs Wasser, aber die Berge sind auch schön 🙂

Wie Woody den Tag erlebte