So richtig nett, ist’s nur im Bett. Diese Liedpassage trifft die morgendliche Temperatur-Situation in unserem „Monolocale“ zu 100 %. Irgendwann überwinden wir uns, verlassen das warme Bett, duschen und „suntigen“ uns für den heutigen Feiertag.
In der Bar Central beim Municipio gibt’s Frühstück (Cappuccino und Cornetto) und dann machen wir uns auf den Weg zur Chiesa Madre, um der Karfreitags-Prozession beizuwohnen. Die Zeit reicht noch für eine Besichtigung der Kirche. Beim Verlassen ebendieser treffen bereits die auf einer Art Sänfte getragenen Figuren der Madonna und des gefesselten Jesus, der von einem Mann geführt wird, zusammen mit der Musikgesellschaft Licodia-Eubea auf dem Kirchenplatz ein.
Wir positionieren uns auf einem der Trottoirs und verfolgen das Geschehen aufmerksam. Das Geschehen besteht einerseits aus den religiösen Aktivitäten (Prozession, Kurzpredigt, Gesang etc.) andererseits aber auch auf das Defilé der Anwesenden. Noch nie – glaube ich zumindest – habe ich so viele herausgepützelte Kinder, Lackschuhe, Silber-Ballerinas, Highheels, in denen ich keine 100 Meter gehen könnte, enge Juplis, Pelzjäcklis etc. an einem Ort gesehen. Gegenseitig bestaunt und kommentieren insbesondere die weiblichen Anwesenden ihre Outfits (come sei bella/bello). Kinder werden schier endlos abgmüntschelet und bereits kleine Mädchen sind mit Handtaschen, Handys und Sonnenbrillen ausgestattet und bewegen sich damit so routiniert wie erwachsene Leute. Das ist die Volksbühne der Karfreitags-Prozession. Als sich der Priester mit ein paar Worten an die Anwesenden wendet, wird das Stimmengewirr nicht leiser. Es wird gesprochen, gelacht und telefoniert. Irgendeinmal beginnt der rituelle Teil der Prozession, in dem die Verurteilung zum Tode von Jesus ausgesprochen wird. Die Figuren der Madonna und von Jesus werden im Kreis herum getragen und werden in einem festgelegten Prozedere vor einander verneigt. Die einzelnen Prozessions-Elemente (Stationen auf dem Leidensweg von Jesus Christus) werden jeweils mit Salut-Schüssen „angezeigt“ (das laute Geknalle hat zur Folge, dass die jüngsten Prozessionsteilnehmenden regelmässig zu weinen beginnen).
Danach zieht die versammelte Gesellschaft durch die Hauptstrasse zur Chiesa „im Dorf“, wo die Frage gestellt wird, wer das Kreuz zur Calvario-Kirche tragen wolle. Wer dies tun will, muss gemäss „gehörten Angaben“ 2’300 Euro bezahlen. Carmelo hat uns bereits gestern gesagt, dass sich dafür nur Männer melden können und dies in der Regel Männer sind, die Busse tun oder Unheil von ihnen und ihren Familien abwenden wollen. Das Kreuz ist gross (ca. 3 Meter), wie schwer es ist, können wir nicht sagen. Ein Mann meldet sich. Ihm wird ein weisses Gewand übergestreift und eine Dornenkrone aufgesetzt. Seine Angehörigen umarmen ihn. Und schon geht die Prozession in die nächste Phase. Zusammen mit der Musik, der Madonnen- und Jesus-Statue, der lokalen Politik- und Polizei-Prominenz und natürlich den übrigen Prozessionsteilnehmenden geht es für den Kreuzträger via Capuccini-Kirche zur Calvario-Kirche. Dort angekommen wird das Kreuz vor der Kirche aufgestellt. Danach ist Pause. Die Familien kehren nach Hause und essen zu Mittag. Auch wir kehren in unser Monolocale zurück. Gönnen uns aber vorerst noch ein Torrone/Fragole-Glacé bei der lokalen Gelateria von Costa „zu Mittag“.
Um 17.00 Uhr versammelt sich die gesamte Gesellschaft auf der Piazza vor der Kirche Matrice. Jesus ist nun in einem Sarg aufgebahrt. Auf eindrückliche Art und Weise begeben sich die Anwesenden – mehr oder wenig schweigend – zu den Klängen des Trauermarschs von Franz Chopin erneut auf den Weg zur Calvario-Kirche. Dort wird Jesus ans Kreuz „gehängt“. Auch wenn wir beide aus sprachlichen Gründen wenig von dem verstehen, was der Priester sagt, sind wir sehr beeindruckt von dieser Zeremonie. Anschliessend kehren alle wieder zurück in den unteren Teil von Licodia Eubea. Der am Morgen auserwählte Kreuzträger hat nun das Kreuz wieder runter zu tragen. Es ist kurz nach 19.00 Uhr als wir beschliessen, etwas essen zu gehen. In Ermangelung von Restaurant-Alternativen gehen wir noch einmal ins gleiche Lokal wie am Vortag. Von da kehren wir nach Hause zurück. Wir haben beschlossen, den nächtlichen Prozessionsteil, der um 22.00 Uhr beginnen würde, auszulassen. Um 22.00 Uhr hören wir die drei nächsten Salut-Schüsse, welche die nächste Station auf dem Leidensweg von Jesus Christus avisieren. Müde, beeindruckt von den Ereignissen des Tags aber auch von der italienischen Familienkultur (kleine Kinder so so piekfein heraus gepützelt, dass sie – als sie sich beim Calvario-Prozessessions-Teil zu langweilen beginnen – nicht am Boden spielen dürfen: sporchi i jeans.