Kurz vor 6.30 Uhr macht Martin Tagwacht. Raus aus den Federn und erstmals unter die Camping-Dusche. Das kann ja was werden. Wir haben einen roten, etwas 2 cm breiten Plastic-Streifen erhalten, auf dem unser Dusch-Guthaben geladen sein soll. Der Streifen erinnert mich aber eher an die Chäpsli-Pistolen-Chlepf-Streifen, die wir als Kinder in den Sommerferien von Grosi zum Spielen erhielten. Das Duschprozedere ist einfach. Plastik-Streifen bei der zentralen Duschverwaltungs-Station in einen Schlitz einführen, die Nummer der Duschkabine eingeben, die man vorher für sich ausgewählt hat und anschliessend den roten Knopf betätigen. Zehn Sekunden später strömt angenehm warmes Wasser in die äusserst sauberen Duschkabinen. Man kann den Wasserfluss in der Kabine per Knopfdruck für maximal 60 Sekunden unterbrechen. Nach vier Minuten Wasserlauf-Dauer gilt das Duschvergnügen als beendet. Das warme Wasser macht die morgendliche Dusche zu einem echten Vergnügen. Zurück in unserem Cali hat sich Martin bereits daran gemacht, Orangen auszupressen. Frische Brötchen hat der Gute auch bereits geholt. Was für ein toller Start in den Tag!
Gegen 20 Minuten nach 8 Uhr verlassen wir den Campground und machen uns auf den Weg zur Abfahrtsstelle des Trenitalia-Ersatzbusses in Richtung Palermo. Mit der Anreise klappt es einwandfrei. Bei der Station „Imperatoren Federico“ steigen wir um. Keine zehn Minuten später sitzen wir bereits im Zug in die Innenstadt von Palermo. Steigt man an der Station „Palazzo Reale-Orleans“ aus, befindet man sich direkt vis-à-vis des Normannenpalasts, in dem heute die Regionalregierung residiert. Der Palast geht auf das 11. Jahrhundert zurück und wurde im 16. Jahrhundert umgebaut. Auf der ersten Etage des Palasts befindet sich die Palatina-Kapelle. Diese repräsentiert wie nur wenige andere Bauten Siziliens noch fast ursprünglich den normannischen Stil aus der Zeit Roger II. Im Mittelpunkt der dreischiffig Basilika steht der Marmorthron Rogers; an Wänden und Decken erzählen wunderbar farbige Mosaike die Legenden von Heiligen und Königen und darüber wölben sich sich die Kirchendecken, geschmückt mit muqqarnas, in der islamischen Baukunst aus Gips gearbeitete Stalaktiten. Wir sind ob dem prachtvollen Gesamteindruck grad ein wenig hin und weg.
Wieder draussen auf der grossen Durchfahrtstrasse hat man – Palatina-Kapellen-verzückt – das Gefühl, ob all der vorbei rasenden Fahrzeuge keine Luft zu kriegen. Wohltuend ist jedoch, dass wir – kurz nachdem wir die Porta Nuova passiert haben -, in der weitgehend verkehrsfreien Via Vittorio Emanuele landen. Hier ist es wieder angenehm ruhig. Vorbei am parkähnlichen Garten der Villa Bonanno geht es zur Kathedrale, die wir nur von aussen auf uns wirken lassen. Durch enge Gassen führt unser Weg zum Capo-Markt, auf dem weitgehend Früchte, Gemüse, Fleisch und Fisch feilgeboten werden. Wir lassen uns treiben und gönnen uns im Restaurant-Aussenbereich des Massimo-Theaters ein erfrischendes Getränk und Tramezzinis. So gestärkt schlendern wir durch die ebenfalls verkehrsberuhigte Via Maqueda, wo‘s dann noch einen Americano und ein Canolo zum Dessert gibt. Beim Geniessen des Desserts taucht ein Akkordeon-Spieler auf und bringt den Restaurant-Gästen ein Ständchen. Martin rückt einen Batzen hervor und zu unserem Vergnügen beginnt der Akkordeonist die allseits bekannte Melodie aus dem Film „Der Pate“ (passend für Palermo!) zu spielen. Dieses Stück wurde uns das letzte Mal live geboten als wir in Las Vegas im Venetian-Hotel mit der Gondel fuhren.
Kurze Zeit später sind wir bei den Quattro Canti (vier Ecken), die durch die Kreuzung der Via Maqueda und der Via Vittorio Emanuele gebildet werden. In jeder der vier Ecken steht eine Skulptur. Die Statuen symbolisieren die Jahresezeiten und stellen die spanischen Herrscher und die Schutzheiligen der Stadt dar. An diesem symbolträchtigen Zentrum und um die benachbarte Piazza Pretoria und Piazza Bellini stehen zahlreiche Kirchen. So unter anderem die Kirche San Cataldo. Ganz schlicht gehalten im normannischen Stil und mit arabischem Einfluss (drei Kuppeln über der Mittelhalle) zeigt diese Kirche sich im Innern dreischiffig mit korinthischen Säulen, die die wuchtigen Gewölbe aus blankem Naturstein und die Kuppeln tragen. Heute gehört die Kirche zum Orden der Ritter von Jerusalem, deren typisches Kreuz mehrfach zu sehen ist.
Wir kehren nochmals zum Pretoriaplatz zurück, der jetzt wieder komplett „entvölkert“ ist, nachdem 20 Minuten vorher etwa drei Schulklassen auf dem grossen Brunnenareal (bestehend aus rund 644 marmornen Einzelteilen) herumgeturnt sind. Entlang der Via Roma ziehen wir weiter in Richtung Vucciria-Markt, der aber um diese Uhrzeit schon fast „aufgeräumt“ ist. Einzig ein Fischstand und ein Verpflegungsstand „Pane e Meusa“ (Brot und Milz, Spezialität in Palermo) sind noch in „Betriebszustand“. Wir sind mitten im Dickicht des alten Palermo mit schmalen Gassen, den belebten Hinterhöfen, über den Köpfen hängt Wäsche zum Trocknen auf, Märkte und Trubel zeugen von einer multikulturellen Gesellschaft. In der Via Alessandro Paternostro stossen wir auf ein Lädchen mit dem Namen Tutui Bottega. Wir gehen zuerst daran vorüber, doch im letzten Augenwinkel faszinieren mich die Farben verschiedener ausgestellter Gegenstände. Wir kehren um und betreten den Laden, in dem eine Frau auch gleich ihr Schmuckatelier eingerichtet hat. Beim Bestaunen der vielen schönen Dinge stosse ich auf eine einzigartig schöne, in Materialmix gefertigte Stofftasche. Innert weniger Sekunden weiss ich, dass dies meine neue Tasche wird, die mir un buon ricordo di Palermo sein wird. Martin probiert einen sizilianischen Coppola-Tschäbber an, der ihm ausgezeichnet steht. Eine schöne Kette ergänzt das Shopping-Portfolio. Die junge Frau im Laden freut sich ob unserer Freude über die schönen Sachen und es ergibt sich ein unvergesslich persönlicher und freudvoller Austausch. Die Frau lässt uns wissen, dass sie den Sommer hindurch jeweils auf der Insel Favignana lebt und arbeitet. Die Insel müssten wir unbedingt einmal besuchen. Ein neuer Grund, ein viertes Mal nach Sizilien zurück zu kehren. Vorbei an der Piazza Marina mit der etwas herunter gekommenen Parkanlage mit alten Drachenbäumen haben wir bereits das Nordende der Stadt erreicht.
Glückselig kommen wir bei der Porto Felice an … Auch heute gibt‘s ein Gelato – in der Antica Gelateria Ilardo (Giovanni fu Filippo) beim Foro Italico. Von den Strapazen des Tages leicht ermattet 🙂 nehmen wir die letzte Etappe zur Stazione Centrale unter die Füsse. In einem Drogerie-Markt tätigen wir noch einige Einkäufe bevor wir den 16.35 Uhr Zug zurück nach Imperatore Federico und den Anschluss-Bus zurück nach Isola delle Femmine nehmen.
Auf dem Rückweg zum Campingplatz wollten wir eigentlich nochmals Fragoline del Bosco kaufen aber unser Früchte- und Gemüsehändler hat heute Abend „Chiuso mancanza di energia“. Der sollte mehr Früchte und Gemüse essen, der Herr! Wir sind schon ein wenig groggy und beschliessen darum, auch heute Abend in der kleinen Trattoria auf dem Campingplatz essen zu gehen. Zurück in unserem Bus lassen wir den Tag gemütlich ausklingen.
Gefahrene Kilometer 0/546