Der gestrige Spaziergang durch teilweise menschenleere Gassen und entlang beschaulicher Kanäle hat Lust auf mehr gemacht. Nicht dass es so wäre, dass Venedig corona-bedingt immer noch fast menschenleer wäre. Nein, so ist es nicht. An den zentralen Touristen-Attraktionen wie z.B. Piazza San Marco, Rialto Brücke und beim Gebiet um den Canale Grande gibt es viele Leute. Aber es fällt auf, dass die meisten Touristen wohl wirklich aus Europa nach Venedig angereist sind. Asiaten, Amerikaner und vor allem Kreuzfahrt-Touristen fallen aber komplett weg. Und so vermuten wir, dass es an all den Orten, wo wir das Gefühl haben, es habe viele Leute, es in der aktuellen Zeit auch viele Leute hat aber definitiv weniger als sonst an einem Sommertag Venedig heimsuchen.
Wie bereits erwähnt, machen wir uns heute zu einem zweiten Spaziergang auf. Auch heute nach einer Jogging-Runde und einem Majer-Frühstück. Mit dem Traghetto fahren wir bis zur Piazzale Roma. Trockenen Fusses kann man den Canale Grande seit Generationen an drei Stellen überqueren: im Nordosten über die 1934 errichtete Ponte degli Scalzi, kurz vor der Mündung über die nahezu gleich alte Ponte dell‘Accademia und etwa auf halbem Weg per weltbekannter Ponte di Rialto. 2008 kam eine vierte hinzu: Die vom spanischen Architekten Santiago Calatrava entworfene „Brücke der Verfassung“ verkürzt den Weg zwischen der Piazzale Roma und Ferrovia. Die Tatsache, dass ein modern anmutendes Bauwerk den Beginn eines altehrwürdigen Wasserboulvards markiert, darf symbolisch gedeutet werden – als Signal für den Willen der Venezianer, sich den Herausforderungen der Zukunft zu stellen. Doch ist die 94 Meter lange Stahl-Glas-Konstruktion seit Anbeginn umstritten. Sie kostete rund 10 Mio. Euro (dreimal mehr als ursprünglich kalkuliert), ihre Stufe laden, da sie der normalen Schrittlänge widersprechen, konstant zum Stolpern ein und zudem besitzt sie weder Lift noch Rampe, ist also für Reisende mit Gepäck, Kinderwagen oder Rollstuhlfahrer völlig ungeeignet. Bevor wir losgehen, legen wir noch einen Fotostopp beim Venedig-Tram, das eine Einspur-Führung und gleichzeitig be-pneute Räder hat.
Über die Lista di Spagna – einem kilometerlangen Fussgängerweg gelangen wir zum Canale di Cannareggio (Chiesa di San Giobbi), dem wir – vorbei an der Ponte Tre Archi – bis zur Einmündung in die Lagunen-Landschaft folgen.
Auf dem Rückweg entlang der gegenüberliegenden Seite des Canale di Cannareggio biegen wir auf Höhe Guglie in das jüdische Viertel (Communità Ebraica) ab. Wir befinden uns nun im Herzen des Cannareggio. Bis zu acht Stockwerke hohe Häuser stehen hier – wenige Gehminuten nördlich des Canale Grande – dicht um einen zentralen Platz. Vereinzelt schmale, niedrige Häuschen, hie und da ein hölzerner Aufbau – offensichtlich beengte Verhältnisse.
Wir befinden uns im ehemaligen Ghetto von Venedig, dem Ort, an dem einst Eisengiesser (ital. Getto für Guss) ihrem Handwerk nachgingen und im frühen 16. Jahrhundert die traurige Tradition der Absonderung der jüdischen Gemeinschaft innerhalb städtischer Kommunen ihren Lauf nahm. Beeindruckend ist für uns der Campo del Ghetto Nuovo. Auf dem Platz spielen Kinder, junge Männer sind über die Thora gebeugt. An einer Wand erinnern Bronzetafeln an die 200 Holocaust-Opfer der örtlichen Gemeinde. Wir ziehen weiter und queren den Campo dei Mori mit den turbantragenden Mohren aus Stein – einer mit eisernen Nase.
Die Kirche Madonna dell‘Orto – eine echte Schönheit (von Aussen – von Innen können wir leider nicht beurteilen, da die Kirche geschlossen war) ist ein nächstes Highlight. Beim Rio della Misericordia gönnen wir uns bei Bacaro-Gelato ein … was wohl? Ein Gelato, das wir auf der dafür liegenden Brücke genüsslich weg-schlecken. Unser Weg führt uns an der Farmacia Ponci – Venedigs älteste Apotheke (Einrichtung aus dem 17. Jahrhundert) -, dem Ca‘d‘Oro – das goldene Haus gilt als schönster Profanbau der venezianischen Hochgotik (Zuckerguss-Bau) – zum Fondaco dei Tedeschi. Wo einst Händler aus Deutschland ihre Waren lagerten und verkauften, Betreiben neuerdings diverse Firmen Luxusgüter-Edelboutiquen. Die Location ist absolut faszinierend. Zum Shoppen sind wir definitiv zu müde. Der heutige Erkundungstag fordert ihren Tribut. Wir spazieren zurück zur Piazza San Marco (finden im Restaurant bei der Rialto-Brücke tatsächlich meine Armbanduhr, die ich am Vortag dort verloren habe), von wo aus uns das Traghetto zurück nach Palanca nehmen. Dies aber mit einem Zwischen-Stopp auf der Insel San Giorgio. Die in unserem Reiseführer als „Lieblingsort“ ausgeflaggte kleine Insel (mit der Kirche San Giorgio Maggiore und dazugehörigem Kloster) stellt aufgrund der Bebilderung für uns eine absolute „Muss-Sehenswürdigkeit“ dar. Der Blick vom der Glockenstube des 60 Meter hohen Campanile der Klosterkirche ist wirklich einmalig: Dogenpalast, Markusdom, Piazza und Bacino di San Marco, rundum das Häusermeer des Centro Storico, mittendrin das grosse S des Canale Grande, nach Süden hin Lido und offenes Meer … prächtiger sieht man die Serenissima nirgends.
Da das Klostercafé geschlossen hat, fahren wir mit dem Traghetto zum Majer und gönnen uns dort einen und etwas später einen zweiten Apérol Spritz. Und weil‘s so schön und gemütlich ist, bleiben wir dort gleich zum Abendessen sitzen. Das Essen – Salate zur Vorspeise und Rippchen bzw. Tuna zum Hauptgang – schmeckt vorzüglich. Ein Caffé rundet den schönen Tag ab und wir machen uns erfüllt und glücklich über den schönen Tag zum Hotel zurück. Im Hotel gibt‘s noch eine Mücken-Kill-Activity, um zu verhindern, dass die Mücken uns auch in der bevorstehend Nacht wieder aussaugen.