Sonntag, 5. Mai 2024: Geschichtsstunde

Woodys Tag

Nach einer kurzen Nacht konnten wir feststellen, dass wir einen ganz schönen Tag haben werden.

Im Bahnhof Olomouc nahmen wir den Zug nach Krnov – glaubten wir, denn die Zugbegleiterin radebrechte uns, dass wir irgendwo zwischendrin auf einen Bahnersatzbus umsteigen müssen. Das Umsteigen hat wunderbar geklappt und wir kamen on time nach Krnov, wo wir erneut umsteigen mussten, dieses Mal nach Třemešná ve Slezsku. Hier konnten wir endlich auf eines der Tageshighlights umsteigen:

Wir fuhren mit dem Zug nach Osoblaha. Diese Strecke ist die einzige Schmalspurstrecke in Tschechien und fährt 3x pro Tag… Der Zug bestand aus einer Diesellok und einem Wagen – dies hat für das Reisendenaufkommen vollkommen genügt.

Die Bahnstrecke ist aus zwei Gründen interessant: Einerseits wegen der Bahn an sich, welche sich mit höchstens 40 km/h durch die Gegend schlängelt. Andererseits auch wegen der Geschichte dieser Gegend.

Osoblaha hiess früher „Hotzenplotz“ und gehörte zur Böhmischen Krone, welche wiederum habsburgisch war und so zum Österreichischen Kaiserreich kam. Aus Wikipedia:

Im Ersten Weltkrieg wurden fast alle Männer von 18 bis über 50 Jahren zu den Waffen gerufen. Viele von ihnen kehrten nicht mehr zurück. 1918 zerfiel die k.u.k. Monarchie und Hotzenplotz kam zu neu gegründeten Tschechoslowakei.
Nach Kriegsende war die Prager Regierung bestrebt, die öffentliche Verwaltung durch tschechische Grenzbeamte, Gendarmen, Staatspolizei, Postbeamte zu besetzen. Von den Deutschen wurde erwartet, dass sie die tschechische Sprache erlernten. Eine enorme Belastung war auch die grosse Arbeitslosigkeit während der Weltwirtschaftskrise der 1920er Jahre, die zum größten Teil deutsche Arbeitnehmer betraf. Die Einwohnerzahl ging durch Abwanderung von 4000 (1880) auf etwa 2500 zurück; die jüdische Gemeinde verschwand fast völlig.

In Vollzug des Münchner Abkommens nahmen 1938 deutsche Truppen die Stadt in Besitz und wurden als Befreier begrüsst. Die Stadt Hotzenplotz musste während des Zweiten Weltkrieges Umsiedler aus besetzten Gebieten aufnehmen. Ebenso wurden luftkriegsgeschädigte und -gefährdete Frauen, Kinder und alte Menschen aus Berlin, Hamburg und dem Ruhrgebiet einquartiert.
Gegen Ende des Zweiten Weltkriegs kamen zu Beginn des Jahres 1945 die vor der näherrückenden Front flüchtenden Menschen aus Oberschlesien mit Pferde- und Ochsengespannen in die Stadt. Am 17. März 1945 stand die Rote Armee vor Hotzenplotz. Fast alle Einwohner der Stadt flohen.

Hotzenplotz war hart umkämpft, mehrfach wechselten die Besatzer. Bei einer Panzerschlacht wurden etwa 200 sowjetische Panzer vernichtet. Am 21. März besetzte die Rote Armee Hotzenplotz endgültig. Was nicht durch Artillerie zerstört war, wurde Opfer eines Brandes.

Im Mai und Juni 1945 kehrte die nach Nordmähren und ins Umland geflohene Bevölkerung nach und nach in die zerstörte Stadt zurück. Die meisten Häuser waren nicht mehr bewohnbar; vielfach wurden Quartiere in den Trümmern eingerichtet. Nach Kriegsende wurden alle männlichen deutschen Personen von 14 bis 60 Jahren zur Zwangsarbeit verpflichtet. Sie kamen in die Kohlenbergwerke nach Ostrava oder ins böhmische Landesinnere. Im Frühjahr 1946 begann die Vertreibung der deutschen Bevölkerung aus Osoblaha. In Viehwaggons mit jeweils 40 Personen gingen bis zum Herbst 1946 Transporte von Krnov aus nach Bayern, Baden-Württemberg und Hessen.

Das Zentrum der Stadt wurde am Ende des Zweiten Weltkriegs völlig zerstört. Am Eingang zum Ringplatz erinnert ein sowjetisches Abwehrgeschütz an die langen Kämpfe und den Sieg der Roten Armee über die Wehrmacht.

https://de.m.wikipedia.org/wiki/Osoblaha

In jedem Dorf oder kleineren Stadt der Gegend liest sich die Geschichte identisch. Habsburgisch – 1. Weltkrieg – Tschechoslowakei – Münchner Abkommen – 2. Weltkrieg – Tschechoslowakei – Tschechien. Persönlich verstehe ich nicht, warum die deutschen Namen in Tschechien noch benützt werden. So sind am Bahnhof von Osoblaha der heutige und der frühere Namen angeschrieben:

Bahnhof von Osoblaha/Hotzenplotz
Der Bahnhof von Osoblaha

Dies, nachdem die Bahnhöfe an der Linie renoviert wurden und in den historischen Zustand zur Zeit der ersten tschechoslowakischen Republik instandbesetzt wurden. Das Gebäude in Osoblaha erhielt dabei wieder die frühere zweisprachige Beschilderung Hotzenplotz / Osoblaha.

So viel zur Geschichte. Nun doch noch ein paar Worte zur Bahn. Die Diesellok stammt aus dem Jahr 1958 und verströmt eine Eleganz aus früheren Zeiten. Vor ein paar Wochen kam die Lok 14 komplett saniert aus der Werkstatt. Sie hat nun ein tolles, knalliges rotes Farbenkleid und kommt frisch daher. Eine zweite Lok wurde vor ein paar Jahren modernisiert und ist im Depot als Reserve abgestellt. So hat man zumindest für die nächsten Jahre eine „Sicherheit“, dass die Bahn noch fahren wird.

Die Lok 14 steht in Osoblaha abfahrbereit vor dem Zug
Abfahrbereiter Zug in Osoblaha

Wie bereits gesagt, ist der Fahrplan mit drei Zügen pro Tag nicht so dicht. Somit mussten wir rund 90 Minuten in Osoblaha auf die Abfahrt des nächsten Zuges warten. Was machen? Bahnhofsbuffet hat es keines und das Zentrum ist doch rund ein Kilometer vom Bahnhof entfernt – und ob an einem Sonntag was offen ist?

Wir entschieden uns, eine kleine Wanderung zu machen. Gleich hinter dem Bahnhof ist die (offene) Grenze zu Polen und wir machten während unserer Wartezeit eine Rundwanderung über polnisches Gebiet von rund 4 km über Feldwege und Landstrassen. Nach Ankunft am Bahnhof blieben uns noch ein paar Minuten, um unser in Olomouc gekauftes Sandwich zu essen.

Tolle Farben auf unserer Wanderung
Wolkenspiel auf unserer Wanderung

Übrigens: unser Gepäck konnten wir während der Wartezeit bzw. unserer Wanderung in der Lokomotive einschliessen. Eisenbahnerkontakte nützen weltweit…

Um 13:46 war die Abfahrtszeit. Wir fuhren pünktlich los und mit umsteigen in Krnov erreichten wir Ostrava.

Umsteigen in Krnov
Umsteigen in Krnov

In Ostrava begann die letzte Zug-Etappe des Tages, welche uns in die Slowakei nach Poprad-Tatry bringen soll. Dieses Mal mit dem privaten Anbieter Leo Express (der Gründer der Bahngesellschaft heisst Leo). Nachdem RegioJet gelbe Züge hat, hat Leo Express schwarze Züge. Und solche des Typs „Flirt“, welche in der Schweiz im Regionalverkehr fahren.

Flirt von Leo Express in Ostrava
Flirt von Leo Express im Bahnhof von Ostrava

Und in diesem Regionalzug soll ich nun rund 4 Stunden sitzen? Hmmm

Natürlich hat Woody für die 4 Stunden nicht einfach die Holzklasse gebucht, sondern „Premium“, welche uns nur CHF 36.–/Person für diese Strecke gekostet hat. 2 Bier inbegriffen. Nachtessen inbegriffen. Kaffee/Dessert inbegriffen. Und die Sitze und das Zuginnere liessen einem sofort vergessen, dass man in der Schweiz in einem Regionalzug sitzen würde…

Premium-Sitze bei Leo Express
Hier lassen sich 4 Stunden Fahrt aushalten…

Das Hotel in Poprad-Tatry ist so nah beim Bahnhof, dass wir die Durchsagen aus dem Lautsprecher verstehen hören können.

Statistik 5.5.2024
Bahn445 km
Bus32 km

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